Zivilgesellschaft funktioniert nicht ohne Worte. Und Kommunikation auf Augenhöhe braucht manchmal genau die passenden Worte. Als Dolmetscher*innen kennen wir uns mit den passenden Worten aus. Wir können sie aber nicht nur in der Kabine sprechen, sondern auch Deutsch-Zweitsprachler*innen helfen, sie selbst zu finden. In diesem Artikel erklären wir, warum ein arabisch-deutsches Phrasebook für Vereine hierbei hilfreich ist, und wie wir es erarbeitet haben.

Motivation

Über mehrere Jahre hinweg haben wir das von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung umgesetzte Projekt „jumenga“ zur Strukturförderung von Moscheevereinen in Ostdeutschland als Dolmetscher*innen und Übersetzer*innen begleitet. Auch wenn viele der Arabisch-Muttersprachler*innen, die in den Vereinen verantwortungsvollen Positionen innehaben, ihren Alltag weitgehend problemlos auf Deutsch bestreiten, wurden alle Veranstaltungen verdolmetscht, damit Deutsch-Zweitsprachler*innen und Muttersprachler*innen auf Augenhöhe kommunizieren können. Schließlich wird häufig sprachliche und inhaltliche Kompetenz gleichgesetzt, so dass der gleichen Aussage …

Ich würde gerne ein Gesetz in unserem Verein ändern. Wenn wir bei unserem Treffen jemanden aus dem Verein rauswerfen möchten, müssen damit alle einverstanden sein, nicht nur 66%.

… unterschiedlich viel Bedeutung beigemessen wird – in Abhängigkeit von der Formulierung:

Ich beantrage eine Satzungsänderung: Die MV muss den Ausschluss von Mitgliedern einstimmig beschließen, eine Zweidrittelmehrheit genügt nicht.

Kommunikation auf Augenhöhe braucht also Sprachkompetenz. Wenn wir für Deutsch-Zweitsprachler*innen dolmetschen, stellen wir Ihnen unsere Sprachkompetenz punktuell zur Verfügung. Da punktuell aber immer zu wenig ist, möchten wir unsere Sprachkompetenz teilen.

Kollokationen braucht der Mensch!

Um über die Arbeit in Vereinen kompetent reden zu können, muss man nicht nur die zentralen Begriffe wie „Verein“, „Mitgliederversammlung“ und „Mitglied“ kennen, sondern sie auch in idiomatischer Weise benutzen können. Man sagt zum Beispiel „aus einem Verein austreten“, „eine Mitgliederversammlung einberufen“ oder „ein Mitglied ausschließen“. Diese sogenannten Kollokationen werden in gedruckten Wörterbüchern gesammelt – am bekanntesten ist das Duden Stilwörterbuch; das in der Schweiz erarbeitet „Kollokationenwörterbuch für den Alltag“ kann sogar online gelesen werden. Allerdings müssen gedruckte Werke angesichts der enormen Menge von Kollokationen stark selektieren, so dass nur sehr häufige Worte einen eigenen Eintrag bekommen, zentrale Begriffe der Vereinsarbeit wie „Mitgliederversammlung“ oder „Satzung“ fehlen darum. Zudem können pro Eintrag können nur wenige Kollokationen und noch weniger Beispiele gelistet werden, wie der Beispieleintrag „Verein“ aus dem Duden Stilwörterbuch zeigt:

Reine Online-Ressourcen, wie die mit Methoden der Computerlinguistik erstellte Kollokationsdatenbank „Wortprofil“, teilen nicht das Platzproblem gebundener Wörterbücher und müssen darum keine Auswahl treffen. Diese Vollständigkeit geht allerdings auf Kosten der Übersichtlichkeit, so listet das Wortprofil „Verein“ hunderte von Kollokationen, viele von ihnen wenig relevant, wie etwa „einem Verein gelingen“. Zwar lässt sich das sprachliche Material nach einem statistischen Maß für die Interessantheit (logDice) sortieren. Das ist aber nur eingeschränkt hilfreich, da die Unterscheidung zwischen Relevantem und Irrelevantem natürlich stark vom Kontext abhängt.

Da für die Arbeit in Vereinen noch keine Kollokationensammlung verfügbar ist, weder online noch offline, haben wir entschieden, ein themenspezifisches Kollokationswörterbuch zur erarbeiten, ein „Phrasebook für Vereine“.

Methodologie

In einem ersten Schritt haben wir Wörter festgelegt, die einen eigenen Eintrag bekommen sollten. Hierzu haben wir die im Rahmen des jumenga-Projekts erstellten Infomaterialien zur Vereinsarbeit nach zentralen Begriffen durchsucht.

In einem zweiten Schritt haben wir zu jedem dieser Begriffe relevante Kollokationen aus der oben erwähnten Kollokationsdatenbank ausgewählt, wobei wir semantischen und pragmatischen Kriterien angelegt haben:

  • Die Kollokation ist relevant für den Vereinskontext. (nicht: Mitglieder „anwerben“ oder Wahlen „beobachten“, denn es geht weder um bewaffnete Gruppierungen noch um Politik.)
  • Die Kollokation würde von einer Zweitsprachler*in nicht intuitiv richtig benutzt werden (nicht: die Satzung „kritisieren“, aber: die Satzung „verabschieden“)
  • Eine zur Kollokation passende Kommunikationssituation erscheint plausibel.

Ausgehend von diesen angenommenen mündlichen oder schriftlichen Kommunikationssituationen – sei es innerhalb des Vereins oder mit externen Akteur*innen, haben wir in einem dritten Schritt Beispiele geschrieben. In dem von der Situation gesetzten Rahmen haben wir versucht, die Sätze so kurz und so leicht verständlich wie möglich zu formulieren und Pluralformen mit Gendermarker zu vermeiden. Stattdessen haben wir abwechselnd männliche und weibliche oder genderneutrale Formulierungen gewählt.

In einem letzten Schritt haben wir Kollokationen und Beispiele ins Arabische übersetzt, um Arabisch-Muttersprachler*innen das Finden der passenden deutschen Formulierung zu erleichtern. Die Übersetzung wurde absichtlich als letzter Schritt geplant, damit eine Übertragung des Phrasebooks in andere Sprachen leicht möglich ist.

Übersichtlich soll es sein!

Um die Einträge übersichtlich zu gestalten, haben wir die Kollokationen, wie auch in gedruckten Kollokationswörterbüchern üblich, nach syntaktischen (Verb + Subjekt | Verb + Objekt | Adjektiv + Nomen | Nomen + Nomen) und gegebenenfalls nach semantischen Kriterien gruppiert. Die Überschriften haben wir als Fragen ausgedrückt und die Kollokationen dann so formuliert, dass sie Antworten auf diese Fragen sein könnten. Im Deutschen stehen die Kollokationen darum in Verben im Indikativ („Was kann der Vorstand mit einer Mitgliederversammlung tun?“ – „Eine Mitgliederversammlung einberufen, absagen, verschieben …“) im Arabischen als Verbalsubstantive.

Für mehr Übersichtlichkeit haben wir synonyme Kollokationen zusammengefasst und nur ein einzelnes Beispiel für diese Synonymgruppe geschrieben:

Wenn die synonymen Kollokationen unterschiedlich benutzt werden (z.B. Verben, die verschiedene Fälle regieren) haben wir sie in separate Zeilen gesetzt und für jede Zeile ein eigenes Beispiel geschrieben:

Bei Synonymgruppen haben wir nur die gebräuchlichste arabische Übersetzung gewählt und auf arabische Synonyme verzichtet, – wieder aus Gründen der Übersichtlichkeit.

Praxistest

Unseres Wissens gibt es kein vergleichbares Kollokationswörterbuch, so dass wir uns bei vielen Detailentscheidungen auf keine Vorbilder stützen konnten. Inwieweit diese Entscheidungen gute, mittelgute oder sogar schlechte waren, wird die Praxis zeigen. Das Phrasebook kann als pdf-Datei kostenlos heruntergeladen werden – wir freuen uns über Kommentare, gerne auch kritische.

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